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23.09.2014

Sinkende Schiffe

Gestern war er grantig, der Böse Wolf. Saugrantig! Ein Stinktier hat versucht ihn anzuspritzen. Das mag er gar nicht, der Böse Wolf! Er ist vor die Tür gelaufen und hat zornig den Mond angeheult. Auuuuuuhhhhh! Dabei war der Mond gar nicht zu sehen, da es in Strömen regnete. Aauuuuuhhhhuuuuuhh! Der Regen hat ihn nicht wirklich gestört. Wenn er grantig ist, ist es ihm wurscht, dass er nach nassem Wolf stinkt. Und böse Wölfe stinken ganz besonders arg, wenn sie nass sind. Wäähh! Er ist um die Häuserblöcke gezogen und hat jeden angegiftet und angefletscht, der sich ihm in den Weg stellte. Finster ist es geworden mit der Zeit, stockdunkel, eine pechschwarze Nacht. Alles war mit schweren, tiefhängenden Wolken bedeckt, man konnte die Pfote vor den Augen kaum sehen. Er trottete missmutig durch die Gegend, wie es Wölfe eben tun, die Hinterbeine etwas seitlich versetzt, das zottige Fell tropfnass. Wölfe hören gut, und so ist es nicht verwunderlich, dass er bei dem kleinen Geräusch, das er hörte, stehenblieb und die Ohren spitzte. Er stand an einem Ufer, zu regnen hatte es jetzt aufgehört, und in geringer Entfernung war ein leises Platschen zu hören und anschließend ein ebenso leises Fiepen. Dieses Fiepen war es, das ihm so bekannt vorkam. Er wusste im ersten Moment nicht, woher er es kannte, aber dann fiel es ihm ein: Ratten machen solche Geräusche! Dicke, fette, leckere Ratten! Aber seit wann springen Ratten ins Wasser? Das war ihm neu. Er strengte seine Augen an und sah schemenhaft zwei große Schiffe auf den Wellen schaukeln. Ein großes, dunkles Schiff, dahinter ein kleineres, noch dunkleres. Den auf das große Schiff mit meterhohen, weißen Buchstaben auf den Rumpf gemalten Namen konnte er nur mit Mühe erkennen: ROS... Die ersten Buchstaben waren schemenhaft zu lesen, der Rest, wahrscheinlich nur noch ein, zwei Buchstaben, verschwand hinter einem herunterhängenden Segel. Das Schiff lag auffallend schräg im Wasser, den Bug steil nach oben gerichtet, das Heck nur noch knapp über der Wasserlinie. Ein leises Blubbern war zu hören. Es erinnerte ihn an das Kraftwerk, das er letztens besucht hatte ... aufsteigende Luftblasen! Das Schiff füllte sich mit Wasser! Wieder hörte er dieses leise Platschen, dem gleich darauf das bekannte Fiepen folgte. Noch eine Ratte ... sie verlassen das Schiff!

Der Böse Wolf schüttelte sein nasses Fell, dass es nur so spritzte und trottete weiter, eine Häuserreihe entlang. Er drehte sich mehrmals um, aber es war niemand zu sehen, niemand war auf der Straße außer ihm, Düsternis verhüllte jede Ecke ... es war, als wüsste alle Welt, dass man ihm heute besser nicht zu nahe kam, dem Bösen Wolf, und deshalb verkroch sich jeder, sorgsam darauf achtend, dass der Haustorschlüssel auch wirklich zweimal umgedreht war. Niemand, wirklich niemand verließ heute freiwillig sein Haus. Nicht einmal ... halt! War da nicht ein Geräusch? Der Böse Wolf blieb wie angewurzelt stehen, die Schnauze ganz nah am Boden, witternd, geräuschlos schnüffelnd, die Ohren steil aufgerichtet. Wieder das Geräusch. Es war unter ihm! Nicht vor oder neben ihm, nein, das Geräusch kam von unterhalb der Erde, auf welcher er bewegungslos verharrte. Ein leises Kratzen und Schaben war es, das an sein Ohr drang. Er musste den Kopf drehen, um das eine Ohr noch näher an den Boden zu bringen, dann hörte er es besser. Was war das? Seit wann machte die Erde Geräusche? Und – noch sonderbarer – das Geräusch schien sich zu bewegen. Langsam, ganz langsam nur, aber es bewegte sich. Es war, als würde sich unter ihm jemand durch die Erde graben. Ein Maulwurf? War da ein Maulwurf unter ihm? Der Böse Wolf war jetzt ganz ruhig. Nichts bewegte sich an ihm, kein Muskel zitterte. Nur drei Nackenhaare sträubten sich langsam dem finsteren Himmel entgegen. Seine Augen glühten jetzt noch ein wenig böser als gewöhnlich. Na warte, dachte er, dich krieg ich, Bursche! Trau dich nur heraus! Und so legte er sich auf die Lauer. Eine Pfote weit nach vor gestreckt, den Kopf draufgelegt, wartend. Die Zunge hing etwas heraus, die Lefzen halb hochgezogen. Leises Knurren, Augen wie schmale Schlitze. Komm nur raus, lichtscheuer Bursche!

Er schaute auf die gegenüberliegende Häuserwand. Schatten bewegten sich dort, huschten irrlichternd über die fest verschlossenen Fenster mit dicken Vorhängen dahinter. Schatten, die ihm bekannt vorkamen. Sie glichen seinem eigenen Schatten. Wölfe! Seine Artgenossen waren unterwegs. Er war nicht alleine da draußen. In solchen Nächten wie heute, in Nächten, da die Schiffe sanken und die Jagd auf Maulwürfe und fliehende Ratten besonderen Spaß machte, da trieb es sie hinaus, die Wölfe, auf die Jagd, Rudel bildend, ihrem Urinstinkt folgend, schleichend und grimmig. Noch war kein Maulwurf zu sehen, noch steckte keiner seinen Kopf heraus, und die Ratten, sie trauten sich nicht ans Ufer. Wie lange würden sie wohl durchhalten, da draußen im kalten Wasser?

 
 
 

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