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13.07.2017

Absurdistan

Ich konnte mich gestern nicht beschweren. Man hatte mich immerhin nicht hinter Gitter verbannt, sondern nur hinter eine Absperrkette auf der gegenüberliegenden Seite der Halle, in welcher das Weltwunder 10 m hoch aufragte. Ursprünglich hätte auch mein Anwalt nur diesen Platz einnehmen dürfen, nach Intervention bei der anwesenden deutschen Richterin und sogar telefonischer Rücksprache mit dem österreichischen Richter erhielt dieser jedoch die Erlaubnis, die Barriere zu überschreiten. Bereits bei der Ankunft am Eingang zu den Heiligen Hallen wurden unsere Taschen auf etwaige Aufnahmegeräte (Handy, Kamera, ...) durchsucht. Auch meinem Anwalt wollte man das Handy verweigern.

Ich erhielt einen eigens für mich engagierten Wachmann zugeteilt, der mich keine Sekunde aus den Augen lassen sollte – er begleitete mich dann nach einiger Zeit auch tatsächlich brav bis zu jener Tür, hinter der ich „mal musste“.

Jenseits der Absperrung war in einer Entfernung von gut 15 m das Potemkinsche Dorf aufgebaut. Man durfte dort per Hebebühne bis unter die Hallendecke hochfahren, um einen Blick ins trübe Wasser zu werfen. Und die drei angereisten Sachverständigen inkl. einer Assistentin durften messen. Was man eben so messen kann, wenn man „keine Schraube bewegen darf“. Sie maßen Wellendurchmesser, Wandstärken, Ströme und Spannungen (das Weltwunder war etwa eine Stunde lang in Betrieb). Was sie dabei sprachen, konnte ich über die große Entfernung hinweg nicht hören. Aber sie machten aufgrund ihrer Körpersprache einen sehr engagierten Eindruck. Den ersten Sachverständigen kannte ich ja bereits aus dem Gerichtssaal. Er hatte seine Frau als Assistentin mitgebracht – die beiden waren ein offensichtlich gut eingespieltes Team. Der zweite Sachverständige war mir immerhin bereits namentlich bekannt. Ein staatlich befugter und beeideter Ziviltechniker und Ingenieurkonsulent für Elektrotechnik. Vom dritten Sachverständigen hatte ich am Eingang eine Visitenkarte erhalten, auf der unterhalb seines Namens „Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn., Institutsvorstand“ zu lesen war. Es kommt nicht alle Tage vor, dass solche Herren wegen eines Provinzwolfs eine so weite Reise auf sich nehmen ... Da ich den Dritten im Bunde überhaupt nicht kannte, habe ich mir heute den Leitgedanken seines Instituts zu Gemüte geführt:

Die Erzeugung, Übertragung und Anwendung der elektrischen Energie sind zum Nutzen der Menschen weiter zu entwickeln. Die Mittel dazu sind Forschung und Lehre, die Konzentration und Weitergabe von Erfahrungen durch Kooperationen und Projekte mit Partnern aus Industrie und Wirtschaft. Die „Elektrische Energietechnik” ist ein in Forschung und Lehre einzigartig vollständig und international anerkannter Fachbereich und Schwerpunkt an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der Technischen Universität Graz.

Das wäre doch der ideale Partner für ROSCH!! Wer weiß, welche Kooperationsmöglichkeiten sich da noch ergeben ... an der TU Graz hat einst sogar Tesla studiert!

Zurück zum profanen Geschehen in Spich:

Zwischendurch konnten sich alle Beteiligten an den bereitgestellten Brötchen und Getränken nach Belieben bedienen. Alle? Nicht alle. Dem einsamen Wolf hinter seiner Absperrung wurde dies verweigert. Passend zu dem etwas schrägen „Film“, der vor ihm ablief, zog auch noch ein sintflutartiger Regenguss über die Halle hinweg.

Nach zweistündigem Sitzen nahm der Wolf eine mitgebrachte Zeitschrift aus seiner Tasche und las ein wenig darin. Es gab ja nichts zu tun für ihn. Er saß dort hinter seiner Absperrung, bewacht, damit er keinen Unfug treiben konnte (man weiß ja nie, wozu unbewachte Wölfe fähig sind, wenn ihnen gähnend langweilig ist). Also vertrieb er sich seine Zeit damit, indem er abwechselnd mit verschränkten Armen dasaß und zwischendurch auch ohne verschränkte Arme. Es schien ihm so, als ob das der wesentliche Grund seiner Vorladung ins Rheinland gewesen wäre: Herauszufinden, in welchem Rhythmus man am besten seine Arme verschränken und wieder sinken lassen kann. Er wird demnächst darüber eine Dissertation anfertigen.

Abschluss des Protokolls: Wolf samt Anwalt waren die Ersten, welche die Geburtsstätte der innovativsten Technologie des 3. Jahrtausends wieder Richtung Flughafen verließen. Sie durften dann bereits im Flugzeug sitzend noch 1,5 Stunden auf die Starterlaubnis Richtung Wien warten. Die Gewitterfront war noch nicht abgezogen. Da die beiden das Herumsitzen aber bereits genügend geübt hatten, konnte selbst das ihre Laune nicht eintrüben.

Nächster Termin: Dienstag, 18. Juli, 10 Uhr, Landesgericht Linz, Saal 220 (2. Stock)

 
 
 

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